Wenn Diabetes uns überfordert

Wenn Diabetes uns überfordert

Neueste Studien über sogenannte „Nichtübertragbare Krankheiten“ zeigen in erschreckender Weise, welch hohen Stellenwert Diabetes mittlerweile eingenommen hat. Diabetes gehört nach Krebs und Herz-Kreislauferkrankungen zu den häufigsten Todesursachen weltweit.

Kurzinfo: Diabetes Typ-1 vs. Typ-2

Zuckerkrank. Klar, da ist das Wort „krank“ drin, aber Zucker klingt doch irgendwie süß und nicht so nach tödlichem Ernst. Es wird zwar in der Medizin zwischen verschiedenen Typen unterschieden, aber diese sind für den normalen Menschen ohne langwierige Erklärungen häufig nicht differenzierbar. Aber die Unterschiede von Diabetes mellitus Typ-1 und Typ-2 sind gravierend.

Im Gegensatz zum Typ-2, der hauptsächlich in einer Insulinresistenz begründet ist, ist beim Typ-1 die Bauchspeicheldrüse nicht mehr in der Lage, ausreichend oder überhaupt noch Insulin zu produzieren. Ein Totalausfall der sogenannten Inselzellen bedeuten für einen Typ-1-Diabetiker ohne Behandlung über kurz oder lang den frühen Tod. Dies galt bis vor noch nicht einmal einhundert Jahren vor der Erfindung des künstlich zuführbaren Insulins durch eine Spritze als unumstößlich.

Bei einem Typ-2-Diabetes, dem sogenannten „Altersdiabetes“, ist neben einer genetisch bedingten eine der Hauptursachen Übergewicht durch Essen und Bewegungsmangel. Im Laufe der Zeit entsteht dabei eine Insulinresistenz, welche die Körperzellen verhindert, den Blutzucker im notwendigen Maße vom Blut aufzunehmen. Und das, obwohl normalerweise die Bauspeicheldrüse sogar noch in der Lage ist, genügend Insulin zu produzieren. Dieses Fehlverhalten der Körperzellen kann durch Sport, gesunde Ernährung und Gewichtsreduktion stark gemildert werden. Meistens benötigen Typ-2-Diabetiker dann nicht einmal zusätzliches Insulin und können oft durch Unterstützung von Tabletten die Aufnahme des Blutzuckers in die Körperzellen verbessern.

Ein Typ-1-Diabetiker dagegen ist sein Leben lang von Insulinspritzen abhängig. Und nein, im Gegensatz zu manchen Ausprägungen der Typ-2-Erkrankung ist Diabetes mellitus des Typs 1 definitiv (noch) nicht heilbar! In der heutigen Zeit gibt es zum Glück hochtechnische Gerätschaften wie Pens, Pumpen und verschiedenste Glukosemesssysteme, die es auch einem Diabetiker mit Typ-1 befähigen, verhältnismäßig normal zu leben.

Diabetes im Alltag

Was darf ich essen? Wie muss ich das berechnen? Wie viel Insulin muss ich nun spritzen? Habe ich noch eine körperliche Tätigkeit wie Sport oder Hausarbeit vor mir? Will ich noch eine Geburtstagsfeier oder Party besuchen? Bin ich krank? Was ist mit Stress? Nach der unumstößlichen Diagnose Diabetes-Typ-1 kommen auf einmal Fragen auf, die man sich in seinem vorherigen Leben kaum bis nie stellen musste. Zu den gewohnten alltäglichen Aufgaben kommt auf einmal das intensive Management hinzu, sich am Leben zu erhalten. Plötzlich wird es wichtig zu wissen, was eigentlich in unserer Nahrung so alles steckt – vor allem, wie viel an Kohlenhydraten.

Schulungen besuchen, regelmäßige Untersuchungen der Augen und Füße, Nahrungsmitteltabellen wälzen, Essen wiegen, der richtige Umgang mit nächtlichen Heißhunger- und Fressattacken. Warum ist das auf einmal alles so wichtig? Neben dem Problem des fehlenden Insulins, das man sich per Spritze, Pumpe oder Pen zuführen muss, gibt es für einen Typ-1-Diabetiker noch das Damoklesschwert der sogenannten Folgeerkrankungen.

Und nicht nur der Diabetiker selbst hat mit seiner Krankheit zu kämpfen. Bei Kindern leiden bereits die Eltern, bei Erwachsenen werden Ehepartner und eigene Kinder damit konfrontiert. Schwankende Blutzuckerwerte bedingen oft auch Stimmungsschwankungen, die Verwandte oder Berufskollegen oft genug in Bedrängnis bringen können. Während sehr niedrige Werte einen Diabetiker eher aggressiv und missmutig machen können, leidet er bei zu hohen Werten meist eher an Schläfrigkeit, Konzentrationsschwäche oder Unlust. Das ist natürlich von Person zu Person unterschiedlich stark ausgeprägt, aber für nicht Eingeweihte auf jeden Fall äußerst befremdlich. Insbesondere Unterzuckerungen sind nicht nur für den Diabetiker lebensgefährlich, auch der Zustand, der oft an Betrunkenheit erinnert, kann nicht Eingeweihte eher von Hilfeleistung abhalten.

Die Zeit spielt gegen den Diabetiker

Während ein Typ-2-Diabetiker meistens erst im Alter mit seiner Krankheit konfrontiert wird, ist ein Typ-1, der sogenannte Jugenddiabetes, bereits seit jungen Jahren ständiger Begleiter. Das bedeutet oft schon als Kind messen und spritzen zu jeder Tages- und Nachtzeit. Ein erhöhtes Infektionsrisiko und schlechtere Wundheilung machen sogar den Zahnarzttermin zu einem Projekt, das vorbereitet werden muss. Denn nichts kann schlimmer sein, als während einer Behandlung in eine Unterzuckerung abzurutschen. Und wenn der Jugendliche einmal davon schwärmt, seinen Körper zu verschönern, muss sogar das Anbringen eines Tattoos in den Diabetes-Plan einbezogen werden.

Auch sogenannte Frauen- oder Männerprobleme häufen oder verstärken sich im Laufe eines Typ-1-Lebens. Etwa Potenzprobleme oder Scheidenpilz – für einen Typ-1-Diabetiker bedeuten sie ein höheres Risiko, daran zu erkranken oder an stärkeren Ausprägungen, Häufungen oder länger dauernden Behandlungen zu leiden.

Die auflaufenden alltäglichen Belastungen sind enorm. Somit sammeln sich im Laufe der Jahre Frustration und Ängste an, die schlimmstenfalls sogar in eine Depression führen können. Diabetiker neigen doppelt so oft dazu, an einer Depression zu erkranken, wie Nichtdiabetiker. Neben den bereits schon erwähnten körperlichen Folgeerkrankungen  sind Depressionen bei Diabetikern heutzutage eine äußerst ernst zu nehmende Erscheinung, die unbedingt behandelt werden muss.

Ein paar Zahlen

Diabetes wird in neuester Zeit als Epidemie oder Volkskrankheit bezeichnet.

  • In den USA wird mittlerweile alle 23 Sekunden ein Diabetes diagnostiziert.
  • In Deutschland leben bereits sieben Millionen Diabetiker in Behandlung (ohne Dunkelziffer!), weltweit 177 Millionen.
  • Alle acht Sekunden stirbt ein Mensch an Diabetes oder einer Folgeerkrankung.
  • Alle 30 Sekunden wird weltweit einem Diabetiker ein Fuß oder Bein amputiert und alle 90 Sekunden erblindet ein Diabetiker.
  • Typ-1-Diabetiker haben durchschnittlich eine etwa zwölf Jahre verminderte Lebenserwartung.
  • Ein Diabetiker (30 Jahre Krankheit) hat grob gerechnet fast 45.000 Mal Blutzucker gemessen und ungefähr genauso oft Insulin gespritzt.

Fazit

Dieser Beitrag kann nur einen groben Abriss über das Leben mit Diabetes liefern. Die Alltagssituationen, in entsprechend anderer Ausprägung, treffen auf jede andere chronische Krankheit in gleicher Weise zu. Aber bei all diesen Horrorszenarien muss auch gesagt werden: Man kann mit Diabetes leben. Es gibt Weltmeister und Iron Men mit Diabetes Typ-1. Spitzensportler wie Gewichtheber-Europameister und Olympiasieger Matthias Steiner gibt aktuell den Informationen zum Leben mit Diabetes-Typ-1 ein prominentes Gesicht. Wichtig ist vor allem eine angepasste Lebenseinstellung, Beachtung der Ernährung, Umstellung der Lebensweise, Management der Therapie – all dies sind natürlich zusätzliche Alltagsbelastungen, auf die wir gerne verzichten würden. Aber durch eine bewusste Orientierung kann man es dahin bringen, dass der Diabetes zwar ein fester Bestandteil des Alltags, aber nicht das bestimmende Moment wird.

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