Knigge-Regeln

Knigge – Altmodisch oder doch noch aktuell?

Jeder von uns hat den Namen „Knigge“ schon einmal gehört. Damit meinen wir verstaubte Umgangsformen und steifes Benehmen – oder doch nicht: Wie viel Knigge steckt noch in uns?

Adolph Freiherr Knigge veröffentlichte 1788 sein Buch „Über den Umgang mit Menschen“. Dieses Werk beschäftigt sich mit „guten Umgangsformen“ und wurde damals sofort ein Verkaufsschlager. Im Laufe der Zeit wurde es immer wieder kopiert, umgeschrieben und ergänzt. So entwickelte sich aus der ursprünglichen Sammlung von Umgangsregeln, die von den Idealen der Aufklärung geprägt war, immer mehr ein Benimmbuch. Noch heute denken wir sofort an Tischetikette und gute Manieren, wenn wir den Namen „Knigge“ hören. Aber sind die jahrelang weiterentwickelten Konventionen heute überhaupt noch üblich? Oder haben sie schon lange ihre allgemeine Gültigkeit verloren?

Küss die Hand, schöne Frau!

In einigen Bereichen des täglichen Lebens kommt es oft zu kurzer Verwirrung und daraus resultierenden Peinlichkeiten. Ein beliebtes Fettnäpfchen bietet die Begrüßung. Bis vor ein paar Jahren gehörte der Handkuss und später der Händedruck zu einer ordentlichen Begrüßung dazu. In der Familie wurde dieser meist durch eine kurze Umarmung abgelöst. Auch im engeren Freundeskreis wird heute eher geherzt oder gebusselt, statt die Hand zu drücken. In Ländern wie Italien oder Frankreich gehören die rechts-links-rechts Wangenküsschen dagegen auch zur Begrüßung flüchtiger Bekannter dazu.

Der kühle Deutsche fühlt sich ob der körperlichen Nähe oft unwohl. Doch auch, wer neu zu einem geschlossenen Kreis dazustößt, ist bei der Begrüßungszeremonie oft überfordert: Wird jetzt eine Umarmung oder ein Küsschen erwartet? Signalisiert das vielleicht zu viel Nähe und überschreitet eine Grenze? Erschwerend kommt dann noch dazu, dass viele Menschen auf den guten, alten Händedruck verzichten, um eine Übertragung von Bakterien zu vermeiden.

Bitte ignorieren Sie mich!

Doch auch in anderen Momenten wünscht man sich, dass der Knigge wieder präsenter wird. Wer im Hochsommer schwanger in die überfüllte Bahn steigt, mit dicken Füßen und heftig atmend, kann ein Lied davon singen. Es ist selten geworden, dass sich ein anderer Fahrgast erhebt, um werdenden Mamas, Älteren oder Menschen mit einer körperlichen Einschränkung seinen Sitzplatz anzubieten.

Oftmals wird man aufgrund von Smartphones und Kopfhörern schon gar nicht wahrgenommen. Auch das fällt unter Benimmregeln: Ist es unhöflich, zu chatten, während ich Besuch habe? Früher gehörte Gastfreundschaft mit entsprechender Unterhaltung der Gäste dazu. Heute gerät das mehr und mehr in Vergessenheit. WhatsApp, Snapchat und Co. machen Begegnungen und Besuche in manchen Kreisen oft überflüssig.

Dagegen kann man aber in Cafés und Restaurants mittlerweile öfter beobachten, dass während des Treffens alle Freunde ihr Smartphone auf einen Haufen legen – abgeschaltet, versteht sich. So können sie von der digitalen Welt ungestört miteinander plauschen, lachen und Neuigkeiten austauschen.

Darf ich Ihnen den Hof machen?

Alles in allem lässt sich sagen, dass die sogenannten Knigge-Regeln größtenteils ausgedient haben. Statt eines Handkusses wird umarmt, statt Briefen schreiben wir Kurznachrichten und an die Stelle des verstaubten Hofmachens und Umwerbens sind Flirten und Dates getreten.

Doch gerade auf diesem Gebiet wünschen sich viele Menschen etwas mehr traditionelle Romantik. Obwohl sich heutzutage immer mehr Paare über Apps und das Internet finden, muss das nicht automatisch bedeuten, dass die Bewunderung auf der Strecke bleiben muss. Nicht umsonst sind viele Frauen schnell von den Datingportalen enttäuscht, lassen die Herren der Schöpfung doch recht zügig nur das Interesse an einer schnellen Nummer oder einer oberflächlichen Bekanntschaft erkennen. Seufzend wünschen sich viele Damen in das vorletzte Jahrhundert zurück, als Anstandsregeln und Etikette zumindest einen gewissen Schutz vor respektlosen Anwerbern bedeutete, während sie ihren Posteingang löschen.

Etwas mehr Respekt, bitte!

Immer wieder werden Stimmen laut, die von einer „Verrohung der Gesellschaft“ sprechen. Doch was kann man dagegen tun? Wer sich mehr Höflichkeit und Anstand in seinem Alltag wünscht, sollte damit anfangen, sein eigenes Verhalten und seinen Wortschatz zu ändern.

Probier es doch mal aus: Bestelle morgen früh in der Bäckerei deines Vertrauens nicht einfach „Zwei Schrippen, bitte.“ Wie wäre es stattdessen mit einem ganzen Satz? „Könnten Sie mir bitte zwei Schrippen geben?“ Das ganze garniert mit einem Lächeln wird nicht nur dir, sondern vor allem der Verkäuferin Freude bereiten. Mache es dir außerdem zur Gewohnheit, allen Menschen „noch einen schönen Tag“ zu wünschen, wenn du ihr Geschäft oder das Büro verlässt.

Das wichtigste dabei ist, dass dich andere Menschen dabei beobachten und bestenfalls deine Verhaltensweisen übernehmen. Nicht nur die Bäckerei-Fachverkäuferin, auch die Kunden in der Schlange hinter dir. Und nicht zuletzt lebst du deinen Kindern so vor, wie man sich respektvoll gegenüber seinen Mitmenschen verhält. Damit gibst du deine Einstellung an die nächste Generation weiter. Wenn wir alle so handeln, könnte es klappen, dass sich einige Knigge-Regeln bald wieder etablieren.