Offener Unterricht – lernt mein Kind da etwas?

Offener Unterricht – lernt mein Kind da etwas?

Vorn steht die Lehrerin, schreibt etwas an die Tafel und schön ordentlich in Reih und Glied sitzen die Schüler und schreiben brav mit. Ist diese traditionelle Form des Unterrichts veraltet?

In der Leseecke liegen zwei Jungen auf dem Fußboden und blättern gemeinsam in einem großen Tierbuch, im Stuhlkreis basteln vier Mädchen an dem Modell einer Ritterburg und an verschiedenen Tischgruppen im Raum verteilt arbeiten Kinder einzeln oder gemeinsam an Bildern, Geschichten oder üben Rechnen. Die Lehrerin sitzt an ihrem Tisch und korrigiert in aller Ruhe die letzte Deutscharbeit. So oder so ähnlich könnte Offener Unterricht aussehen. Was für einen Beobachter auf den ersten Blick chaotisch wirkt, hat System und ist das Ergebnis strukturierter Vorarbeit.

Was ist Offener Unterricht?

Es gibt in der Pädagogik keine feste Definition, was genau Offener Unterricht ist – aber es gibt viele Methoden und Möglichkeiten, den Unterricht zu öffnen. Das Ziel ist es, sich weg vom traditionellen lehrerzentrierten Unterricht zu bewegen, wo die Lehrkraft vorn steht, die Kinder an den Tischen sitzen und alles abschreiben, was an die Tafel geschrieben wird. Im Offenen Unterricht wird im Gegensatz zum traditionellen Unterricht das selbstständige Lernen großgeschrieben. Die Schüler lernen hier, sich selbstständig Kenntnisse und Fähigkeiten anzueignen und haben dabei mehr Freiheiten bei der Lernstoffwahl, um sich ihren individuellen Interessen zu widmen. Zudem kann im Offenen Unterricht mehr auf das individuelle Lerntempo eines Kindes eingegangen werden. So kann es vorkommen, dass die kleine Anna mehrere Wochen nur damit verbringt, Lesen und Schreiben zu lernen und sich wenig oder gar nicht mit Mathematik beschäftigt. Für die Eltern ist das manchmal schwer zu ertragen – sie haben Angst, dass Anna nicht im Lernstoff hinterherkommt und etwas verpasst.

Wie kann Offener Unterricht aussehen?

Neben dem oben beschriebenen Beispiel gibt es viele Methoden, die offene Elemente haben und auch langsam Einzug in den „normalen“ Unterricht halten, wie z. B. Wochenplanarbeit. Im Wochenplan wird festgehalten, was im Laufe der Woche alles bearbeitet und gelernt werden soll. Dabei wird der Lernstoff je nach Konzept und Grad der Offenheit von der Lehrkraft, vom Kind oder von beiden gemeinsam festgelegt. Wird der Lernstoff von der Lehrkraft vorgegeben, so handelt es sich um einen geringen Öffnungsgrad, denn so kann das Kind lediglich frei wählen, wann es die Aufgaben erledigt. Darf das Kind hingegen selbst entscheiden, was es in der Woche lernen will, handelt es sich um echten Offenen Unterricht. Andere Methoden können Frei-, Projekt- oder Gruppenarbeit sein. Auch die Wahlmöglichkeit mit wem oder wo man arbeiten möchte, stellen schon geringe Öffnungsgrade dar. Je mehr die Kinder mitbestimmen dürfen, desto weiter ist die Öffnung des Unterrichts. Doch manche Kinder können von zu viel Offenheit auch überfordert sein.

Wo findet Offener Unterricht statt?

Grundsätzlich gibt es keine gesetzlichen Vorschriften, wie unterrichtet werden muss. Es sind lediglich Inhalte und Kernkompetenzen vorgegeben, die ein Schüler in einem gewissen Zeitrahmen erwerben muss. Das heißt, dass jede Lehrkraft unabhängig von der Schulart und sogar unabhängig von der Schulleitung selbst entscheiden darf, wie sie ihren Unterricht gestaltet. Sie als Eltern können zunächst gar nicht beeinflussen, welche Art von Unterricht Ihrem Kind erteilt wird. Im Zweifel sollten Sie immer das Gespräch mit der Lehrkraft suchen. Denn diese ist Expertin für das Lernen in der Schule und sollte Ihnen ganz professionell die hinter ihrem Unterricht stehenden pädagogischen Prinzipien erläutern können. In der Praxis findet Offener Unterricht überwiegend in Grundschulen statt. In den weiterführenden Schulen überwiegt weiterhin der traditionelle lehrerzentrierte Unterricht.

Was sagt die Wissenschaft?

Wie der Bildungsforscher Prof. Hartinger herausgefunden hat, empfinden sich Kinder im geöffneten Unterricht als selbstbestimmter. Das fördert die Lernmotivation und führt so zu besseren Lernergebnissen. Schon kleine Freiheiten, wie die freie Wahl des Arbeitsortes, z. B. in der Leseecke, im Stuhlkreis oder im Nebenzimmer des Klassenraumes, können dazu beitragen, dass Kinder sich als selbstbestimmter empfinden und so mit mehr Begeisterung lernen. Um eine Überforderung zu vermeiden, muss auf die Bedürfnisse der Kinder individuell eingegangen werden. Manche Kinder brauchen mehr Struktur als andere. Jedoch besitzen offene Lernsituationen nicht schon automatisch Qualität, wie der Schulforscher Prof. Lipowsky nachgewiesen hat. Denn nicht alle Kinder verfügen über die notwendigen Kompetenzen und Arbeitstechniken, um die gebotenen Freiräume sinnvoll zu nutzen. Offene Angebote müssen gut strukturiert sein und die Kinder müssen erst an selbstständiges Arbeiten herangeführt werden. Was also von außen betrachtet wie ein buntes Durcheinander aussieht, wenn jedes Kind an etwas anderem arbeitet, muss gut durchdacht sein und bedarf guter Vorbereitung durch die Lehrkraft.

Fazit

Im Offenen bzw. geöffneten Unterricht lernen Kinder selbstständig zu arbeiten. Wer früh lernt, eigenständig zu arbeiten und sich Wissen und Fähigkeiten selbstständig anzueignen, wird es in den weiterführenden Schulen und auf dem weiteren Bildungs- und Berufsweg einfacher haben. Frei wählen oder mitbestimmen zu dürfen, welche Themen gelernt werden oder wo und wann etwas gelernt wird, führt zu einer besseren Lernmotivation der Schüler. Grundsätzlich sollten Eltern Vertrauen in die Kompetenz von Lehrkräften haben, denn diese sind Experten für das Lernen. Nehmen Sie im Zweifel Kontakt mit der Lehrperson auf und fragen Sie nach, wie Sie das Kind am besten unterstützen können.