Geschmack wird nicht in die Wiege gelegt, sondern erlernt

Über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten. Was der eine gerne mag, darauf kann der andere gut verzichten. Wie und wann entstehen Vorlieben und Abneigungen beim Thema Essen?

Sinneszellen nehmen die Geschmacksqualität der Nahrung wahr

Unser Geschmack ist ein komplexer Sinneseindruck, der sich aus gustatorischen (Geschmackssinn), olfaktorischen (Geruchsinn), haptischen (Tastsinn) sowie aus optischen Eindrücken zusammensetzt. Unser Geschmackssinn ist auf der Zunge lokalisiert. Auf dem Zungenrücken und auf dem Zungenrand befinden sich circa 3.000 Geschmackspapillen, in denen je fünf bis zehn Geschmacksknospen angesiedelt sind. Diese wiederum enthalten jeweils zwischen 40 und 60 Sinneszellen. Die Sinneszellen nehmen die Geschmacksqualität der Nahrung wahr und lösen einen Reiz aus. Dieser Reiz wird in Impulse umgewandelt und über Nervenfasern in verschiedene Bereiche des Gehirns befördert.

Die fünf Geschmacksrichtungen

Bei Kindern erfolgt die Entwicklung des Geschmacksinns in den folgenden Etappen:

  • Bis zur zehnten Schwangerschaftswoche bilden sich die ersten Geschmacksknospen. Einige Wochen später beginnen die Geschmacksknospen mit den Nerven des ungeborenen Kindes zu kommunizieren. Der Embryo hat erste geschmackliche Eindrücke und Empfindungen.
  • Bereits Neugeborene können verschiedene Zuckerkonzentrationen unterscheiden. Wissenschaftler gehen daher von einer angeborenen Präferenz für Süß aus. Eines ist bei Neugeborenen weltweit gleich: Sie lehnen zunächst alles, was sauer, salzig und bitter ist ab.
  • Der amerikanische Wissenschaftler Paul Rozin spricht sogar vom „Sicherheitsgeschmack der Evolution“, denn es gibt nichts Süßes auf der Welt, das gleichzeitig giftig ist.
  • Mit etwa vier Monaten können Kinder auch salzigen Geschmack wahrnehmen.
  • Im Alter von drei Jahren sind die Ausbildung der Geschmacksorgane und ihre Vernetzung mit dem Nervensystem soweit abgeschlossen, dass Kinder bereits das volle Spektrum der geschmacklichen Empfindung erfahren.
  • Dass der Mensch mit umami einen weiteren, den sogenannten fünften Geschmack wahrnimmt, wurde schon vor etwa hundert Jahren erkannt. Doch erst in den neunziger Jahren fanden Wissenschaftler heraus, wie der Rezeptor funktioniert. Der Geschmack umami signalisiert dem Körper eiweißreiche Nahrungsmittel, genauer gesagt den Geschmack von Salzen der Aminosäure Glutamat.

Lernprozesse verändern den kindlichen Geschmack

Dennoch verändert sich der kindliche Geschmack stark und zwar aufgrund von verschiedenen Lernprozessen. Kinder müssen viele verschiedene Nahrungsmittel mehrmals essen, um sogenannte „Geschmacksmuster“ zu bilden. Dadurch wird eine Art „Archiv“ angelegt, das dem Kind hilft, neue Geschmacksmuster einzusortieren. Wer als Kind also viele unterschiedliche Dinge probiert, hat als Erwachsener mehr Möglichkeiten, neue Eindrücke beim Essen einzusortieren. Diese Geschmacksmuster kann man sich vorstellen wie eine Landkarte, auf der Orientierungspunkte eingetragen werden.

Der Genuss ist beim Thema „Schmecken“ nur eine willkommene Begleiterscheinung, denn entwicklungsbiologisch betrachtet, geht es um etwas völlig anderes: Mit dem Geschmack sollen die Qualität und die Verträglichkeit der Nahrung geprüft werden. Nur so kann der Körper gesund bleiben. Für Kinder ist das während des Wachstums besonders wichtig und deshalb sind sie im Geschmacks-Test auch wahre Meister. Kinder haben äußerst feine Geschmacksnerven. Und sie setzen sie sehr kritisch ein.

Abwechslungsreiche Ernährung sorgt für ein buntes Geschmacksarchiv

Sich an Lebensmittel zu gewöhnen, braucht Geduld und Konsequenz. Die Tomatensauce ist zwar einfach und erspart Diskussionen, jedoch können sich Kinder und Erwachsene nicht an Neues gewöhnen, wenn sie es nicht ständig wieder probieren können. Für Eltern ist es daher von Vorteil, den Tisch immer wieder unterschiedlich zu decken – aber neue Lebensmittel auch wiederholt anzubieten, damit der Geschmackseindruck sich festigen kann. Mit einer abwechslungsreichen Ernährung Ihrer Kinder sorgen Sie für ein buntes Geschmacksarchiv, auf das sie als Erwachsene später zurückgreifen können. Die Werbung für Lebensmittel in Fernsehen, Internet, Zeitschriften, auf Plakaten, im Supermarkt, etc. trägt außerdem dazu bei, dass Kinder auch neue Lebensmittel zunehmend gern probieren.