Be-Greifen – Lebenslang lernen mit dem Tastsinn

Be-Greifen – Lebenslang lernen mit dem Tastsinn

Ob es schon regnet oder wie glatt die Murmeln sind – das alles können wir erfühlen. Warum ist der Tastsinn so wichtig für uns Menschen und wie kann uns Haptik beim Lernen helfen?

Was ist Haptik?

Haptik bezeichnet das aktive Tasten des Menschen. Werden wir von einem anderen Menschen angefasst, bezeichnet man das als taktile Berührung.

Die haptische Wahrnehmung umfasst hauptsächlich:

  • Oberflächensensibilität, also die Wahrnehmung mechanischer Reize wie Druck oder Vibration
  • Tiefensensibilität, also die Wahrnehmung des eigenen Körpers im Raum, die Wahrnehmung der Gliedmaßen zueinander und die Wahrnehmung von Körperbewegungen
  • Schmerz- und Temperaturwahrnehmung

Die Haptik ist vor allem wichtig, wenn wir Unregelmäßigkeiten entdecken wollen. Ganz klassisch wird eine tastende Untersuchung bei Verdacht auf Brustkrebs vorgenommen. Beim Abtasten der Brust stellen wir uns unbewusst Fragen: Könnte das ein Knoten sein? Fühlt es sich hart an oder gibt er auf Druck nach? Tut eine Berührung weh?

Auch wenn wir Temperaturen einschätzen wollen, verlassen wir uns auf unseren Tastsinn. Die sogenannten Meissnerschen Körperchen (Größe ca. 0,1 mm Durchmesser) in der Lederhaut reagieren auf Temperaturen und Druck. Sie befinden sich vermehrt in den Fingerkuppen und der Zungenspitze. Von dort aus signalisieren sie dem Gehirn, dass von der heißen Herdplatte Gefahr droht, und verhindern so schlimme Brandverletzungen.

Gebranntes Kind scheut das Feuer

Dabei spielen Erfahrungswerte eine wichtige Rolle. Babys lernen ihre Welt zunächst durch den Tastsinn kennen. Sie nehmen nicht nur Gegenstände in die Hand, sondern auch in den Mund. Durch das Befühlen mit Lippen und Zunge kann nochmal eine ganz andere Wahrnehmung entstehen.

Wir erinnern uns bestimmt auch alle, dass wir uns als Kind einmal am Ofen verbrannt haben, höchstwahrscheinlich bei der allerersten unbeobachteten Begegnung mit dem heißen Gerät. Das Gehirn registriert die Reize, die ihm durch die Haut zugeschickt werden und ordnet sie auf einer Skala von „völlig harmlos“ über „löst einen Impuls aus“ bis hin zu „lebensgefährlich“ ein.

Tendiert der Reiz zu Letzterem, werden verschieden Warnsignale vom Gehirn zurückgeschickt, die uns davon abhalten sollen, den heißen Herd zu berühren.

Diese Skala entwickelt sich aber erst im Laufe des Lebens und aufgrund der unterschiedlichen Erfahrungen, die wir sammeln. Kinder merken sich sehr gut, wie weh eine Brandwunde tut, und verletzen sich daher meist nie wieder. Das Gehirn signalisiert schon vorher: „Das wird jetzt genauso heiß und schmerzhaft wie beim letzten Mal, lass lieber die Finger davon.“

Learning by doing

Aber nicht nur äußere Reize sind wichtig, um uns im Leben zurechtzufinden. Das Verhältnis unserer Gliedmaßen zueinander, und welche Bewegungen unser Körper erzeugt, ist genauso entscheidend, wie das Verhältnis unseres Körpers zur Umgebung. Kinder müssen auch hier durch Versuch und Irrtum lernen, sich in ihrer Umwelt unfallfrei zu bewegen. Wir Erwachsene können das nachempfinden, wenn wir mit einem großen Touring-Rucksack den schmalen Gang im Reisebus entlang laufen. Ständig stoßen wir irgendwo gegen oder bleiben hängen, weil wir unser Verhältnis zum Raum nicht richtig einschätzen.

Kleinkinder krabbeln deswegen gerne unter Tische oder in Nischen hinter Möbelstücke. Sie lernen durch die Berührungen der Möbel, wie groß ihr Körper ist und ob er in die Lücke passt, in die sie hineinkrabbeln wollen. Auch das klassische Anstoßen des Kopfes gehört dazu. Babys lernen so, wie lang sie sind und dass sie ab einer gewissen Größe nicht mehr aufrecht unter dem Tisch stehen können. Es ist daher entscheidend, dass nicht ständig das Anstoßen verhindert wird. Besser ist es, scharfe Kanten abzukleben oder dem Kind auch drinnen ein Stirnband umzubinden, was den Aufprall dämpft. Natürlich kannst du auch schnell die Hand zwischen den Kinderkopf und die Tischplatte schieben, damit es nicht so schmerzhaft wird.

Tests erfolgreich meistern durch Haptik

Haptische Codes unterstützen aber auch das Lernen abstrakter Zusammenhänge. Zwischen den Gehirnregionen, die unsere ertasteten Eindrücke verarbeiten, und unserem Wissensspeicher verlaufen fließende Grenzen. Die Haptik verknüpft kognitive Gehirnteile sowie sensorische Wahrnehmung und lässt uns so das Erlernte schneller abrufen. Wer Probleme damit hat, für eine Prüfung auswendig zu lernen, sollte also neben dem Lernstoff eine Handbewegung einstudieren und diese dann während des Examens wiederholen. In einer neurowissenschaftlichen Studie fanden Forscher heraus, dass die Testgruppe, die einen solchen haptischen Code herstellte, bessere Ergebnisse erzielte.

Tipps zum Verbessern der haptischen Wahrnehmung

Um den Tastsinn zu schulen, gibt es verschiedene Übungen für Kinder und Erwachsene. Dabei ist es hilfreich, die anderen Sinne weitestgehend auszuschalten. Mit Gehörschutz und einem Schal, der die Augen bedeckt, kann man sich ganz auf Tasterfahrungen konzentrieren.

Sehr beliebt sind dafür bei Groß und Klein die sogenannten Barfußwege. Dort erkundet man mit bloßen Füßen verschiedene Untergründe und versucht zu erraten, worauf man gerade eigentlich tritt. Ähnliches lässt sich auch mit den Händen erfahren. Mehrere Stoffbeutel werden mit verschiedenen Materialien wie Tannenzapfen oder Murmeln gefüllt. Anschließend greifen die Kinder in die Beutel und erraten so, was sich in ihnen befindet. Alternativ kann man die Beutel auch mit Sand, Reis oder Hülsenfrüchten füllen.

Im Sommer sollten Kinder so oft wie möglich die Natur erkunden. Dazu zählt auch Sandburgen bauen oder einen Schlammkuchen in der Matschküche backen. Das alles hilft, verschiedene Aggregationszustände oder Temperaturen zu erleben.

Für Erwachsene kann das Erlernen der Braille-Schrift ein herausforderndes Training zur Verbesserung der haptischen Wahrnehmung sein. Aber auch die Verarbeitung von Naturmaterial wie Ton oder Holz ist förderlich. Wer dennoch Probleme mit der taktilen oder haptischen Wahrnehmung hat, sollte sich vertrauensvoll an einen Arzt werden. Dort können verschiedene Behandlungsmöglichkeiten besprochen worden, zum Beispiel Ergotherapie.