Wir sind Freilerner

Alternative Bildung: Freilerner und Homeschooling statt Schule und Hausaufgaben?

In Elternforen und -gruppen stolpert man in letzter Zeit öfter über erhitzte Diskussionen zum Schulbesuch. „Wir sind Freilerner“ – auch dieser Satz fällt ab und an. Was steckt dahinter?

Deutschland, deine Bildung

Volle Klassenzimmer, fehlende Lehrer – das deutsche Bildungssystem krankt an allen Ecken und Enden. Laut dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung sind im Sektor „Erziehung und Unterricht“ derzeit 45.000 Stellen nicht besetzt. Das führt zu Stundenausfällen, die Qualität des Unterrichts leidet erheblich. Was bleibt, ist Frust bei Lehrern, Eltern und Schülern. Kein Wunder also, dass die Regelschulen stark kritisiert werden. Immer mehr Eltern suchen nach Alternativen für den Nachwuchs. Ob Waldorf, Montessori oder Schulen in kirchlicher und freier Trägerschaft – sie schießen allerorts wie Pilze aus dem Boden. Dabei werden die jeweiligen pädagogischen Ansätze oft im Kontrast zueinander beschrieben. Es herrschen Klischees und Vorurteile auf allen Seiten: Hier würden die Kinder nur lernen, ihren Namen zu tanzen – dort würden sie für die Schule lernen und nicht fürs Leben. Von Tyrannen und Despoten ist da die Rede, aber auch von Ökos und Hippies mit naiven Vorstellungen von der Welt. Kein Thema scheint so sehr zu polarisieren wie die Schulbildung.

Schulpflicht vs. Bildungspflicht

Dabei gibt es auch an freien Schulen Kinder, die sich nicht wohlfühlen, da sich deren Interessen von den Lerninhalten unterscheiden bzw. wo individuelle Förderung nicht so umfassend möglich ist, wie Eltern sich das wünschen. Es gibt viele verschiedene Gründe, warum sich Familien gegen einen Besuch der Lehranstalt entscheiden. Da in Deutschland die allgemeine Schulpflicht herrscht, hat das für die meisten einen Umzug ins Ausland zur Folge. Denn in vielen anderen Ländern spricht man nämlich von einer Bildungspflicht: Das Vermitteln von Wissen ist für die Eltern verpflichtend, aber es ist nicht an eine Schule gebunden und wird nicht staatlich vorgegeben. In Österreich zum Beispiel kann der Unterricht zu Hause von den Eltern durchgeführt werden. Voraussetzung dafür: Der Unterricht muss dem an einer staatlichen Schule gleichwertig sein. Außerdem muss der Schüler am Ende eines jeden Schuljahres die sogenannte „Externisten-Prüfung“ ablegen. In dieser wird überprüft, ob die Lerninhalte dem Lehrplan entsprachen und wie das Kind diese verinnerlicht hat. Hier werden auch Noten verteilt. So können Freilerner in Österreich auch die Matura, das österreichische Abitur, ablegen, ohne je am Schulunterricht teilzunehmen.

Die Schattenseiten des Schulsystems

Auch in Frankreich, der Schweiz und im anglo-amerikanischen Sprachraum gibt es statt der Schul- eine Bildungspflicht. Gerade aus den USA kennen wir das „home schooling“. Kinder im Schulalter werden von einem Elternteil zu Hause unterrichtet. „Kein Wunder,“ mag manch einer denken, „das Schulsystem in Amerika ist ja auch völlig am Ende.“ Immer wieder berichten deutsche Schüler nach einem Auslandsaufenthalt verwundert, wie wenig die jungen Menschen in den Staaten wissen. Ob die Mauer noch stehe, werde man gefragt, oder wie das mit diesem Hitler war. Darüber mag der Deutsche nur müde lächeln – doch das dahinsiechende Bildungssystem hinterlässt auch hier solche Wissenslücken. Das Pensum an Hausaufgaben, Projektarbeiten, Lernen und Arbeitsgruppen ist für die wenigsten Schüler wirklich zu schaffen. Oft leiden sie an Schlafmangel und klagen über fehlende Freizeit. Dazu kommen Stress, Burn-out und Leistungsdruck. Die Noten rasseln in den Keller.

(Alb-)Traum Freilerner?

Für rund eintausend Kinder in Deutschland sind diese Begriffe Fremdworte. Sie lernen in Projekten statt in Fächern. Und nicht nur im Schulzimmer, sondern überall: Biologie, Sachunterricht und Geografie werden greifbar durch einen Tag im Wald. Physik erklärt der Vater am Familienauto. Auch handwerkliche Tätigkeiten, Gartenbau oder Handarbeiten können so in den Lerntag mit eingeflochten werden. Dabei bestimmen die Schüler mit den Eltern gemeinsam, was wann gelernt wird. Stures Auswendiglernen und graue Theorie ist nichts für die sogenannten Freilerner. Stattdessen beschäftigen sie sich nur mit den Dingen, die sie wirklich interessieren. Was für die Kinder wie ein Traum klingt, ist für viele Eltern ein Albtraum. Sie sehen keine Chancen auf Studium oder Ausbildung. Außerdem mangele es den homeschoolern doch an sozialen Kontakten. Wie soll man ohne Mitschüler Konfliktlösung und Hilfsbereitschaft lernen? Wie wird sich der Nachwuchs je dem Chef unterordnen, wenn es keine autoritären Lehrer kennt?

Vernetzung und Selbst-Organisation

Dabei herrscht bei den Verfechtern des klassischen Schulsystems oft ein falsches Bild vor. Homeschooler eignen sich neues Wissen meist erst an, wenn es wirklich gebraucht wird. Der Vorteil ist, dass man es dann auch wirklich behält. Denn das meiste, was in der Schule gelehrt wird, vergisst man nach dem Abschluss wieder. Für das Lernen zu Hause spricht auch, dass die Kinder in Tests oft besser abschneiden als gleichaltrige Kumpane, die täglich die Schulbank drücken.

Auch das Vorbild vom Freilerner, der mit seinen Eltern abgeschieden in der Wildnis lebt, ist völlig weltfremd. In Zeiten sozialer Medien organisieren und verabreden sich die Familien über Facebook und WhatsApp. In fast jeder größeren Stadt gibt es mittlerweile selbst organisierte Gruppen. Dort tauscht man sich aus, trifft sich und bietet den Kindern ebenjene soziale Kontakte. Anlaufstellen findet man bei Eu-Le, dem europäischen Bildungsnetzwerk für freies Lernen oder der Freilerner Solidargemeinschaft (FSG). Doch auch der Rückhalt der Familien untereinander ist wichtig. Denn so idyllisch der Freilerner-Alltag klingen mag: Aufgrund der Schulpflicht gibt es immer wieder Ärger mit Behörden und Ämtern. Auch das kostet Zeit, Energie und vor allem Geld. Wer sich für das Dasein als homeschooler entscheidet, sollte einen guten Anwalt zur Hand haben. Auch da bieten die Vernetzungen entsprechende Hilfen.

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